Aufklärungspflicht
Keine Aufklärungspflicht des freien Anlageberaters über erhaltene Provisionen.
Mit seiner lange erwarteten und viel beachteten Entscheidung vom 15. April 2010 (Aktenzeichen: III ZR 196/09) hat der III. Senat des Bundesgerichtshofes (BGH) einen Schlussstrich unter eine seit geraumer Zeit schwelende Diskussion gesetzt und für die nötige Rechtssicherheit gesorgt. Es ging um die Frage, inwieweit ein freier und bankunabhängiger Berater bei der Vermittlung und Beratung von geschlossenen Immobilienfonds ungefragt verpflichtet ist, über die an ihn geflossene Provision aufzuklären.
Nach der Rechtsprechung des Bankensenats hat ein Bankmitarbeiter eine Aufklärungspflicht über Rückvergütungen, um den Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank offen zu legen. Erst durch die Aufklärung wird der Kunde in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen und zu beurteilen, ob die Bank ihm einen bestimmten Titel nur empfiehlt, weil sie an den Rückvergütungen verdienen will. Dieser Interessenkonflikt besteht auch dann, wenn die beratende Bank durch eine Handelsspanne beim Einkauf der empfohlenen Wertpapiere vom Ergebnis der Beratung unmittelbar profitiert. Nach der grundlegenden Rechtsprechung des BGH ist die Aufklärungspflicht der Bank über die Rückvergütung notwendig, um den Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt des Kreditinstituts offen zu legen.
Mitunter wurde behauptet die Rechtsprechung des BGH zur Aufklärungspflicht der Banken sei auch für freie Anlageberater anwendbar.
Viele Anlegerschutzanwälte suggerierten gegenüber Anlegern eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Anlageberater, wenn dieser nicht auf seine Provision aus dem Vertrieb eines Produktes hingewiesen hatte. So geriet eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart (Aktenzeichen 13 U 42/09) ins Blickfeld. In diesem Urteil wurde der dort beklagte Anlageberater zu Schadenersatz verurteilt, weil er seine Aufklärungspflicht verletzt und den Kunden nicht über die an ihn geflossenen Rückvergütungen (Kickbacks) aufgeklärt hatte.
Diese Entscheidung eignet sich allerdings nicht als Präzedenzfall zum Thema Verletzung der Aufklärungspflicht. In dem Verfahren ging es um einen Beratungsdienstvertrag, auf dessen Grundlage die dort strittigen Beteiligungen an Falk-Fonds zur Zeichnung empfohlen wurden. Dieser Umstand wurde in der Entscheidung des OLG Stuttgart mehrfach behandelt und spielte eine wichtige Rolle, so dass es sich bei diesem individuellen Einzelfall nicht um eine „typische“ Beratung oder Vermittlung handelte.
Nunmehr hat der III. Zivilsenat des BGH ein Machtwort zur Aufklärungspflicht gesprochen.
Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet: „Für die nicht bankmäßig gebundenen, freien Anlageberater besteht - soweit nicht § 31 d des WpHG eingreift - keine Verpflichtung gegenüber seinen Kunden, ungefragt über eine von ihm bei der empfohlenen Anlage erwartete Provision aufzuklären, wenn der Kunde selbst keine Provision zahlt und offen ein Agio oder Kosten für die Eigenkapitalbeschaffung ausgewiesen werden, aus denen ihrerseits die Vertriebsprovisionen aufgebracht werden“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Anleger unter den genannten Bedingungen (korrekter Prospekt rechtzeitig überreicht) nicht von der Pflicht entbunden werden kann, auch selbst mal einen Blick in den Prospekt zu werfen. Zudem gibt es etablierte Handelsbräuche, dass niemand gezwungen ist, seine Margen ungefragt offen zu legen.
Für den Bankenvertrieb von geschlossenen Fonds war der XI. Senat des BGH in einer Entscheidung die Commerzbank beziehungsweise den Medienfonds CFB 140 betreffend zu einer anderen Auffassung gekommen. Die Begründung des XI. Senats lautete, dass „das Vertragsverhältnis zwischen dem Kunden und seiner Bank üblicherweise auf Dauer gegründet ist“. Dagegen weicht das Verhältnis zwischen einem Kunden und seinem nicht bankgemäss eingebundenen, freien Anlageberater, in entscheidenden Punkten von dem zwischen einem Kunden und einer Bank ab.
Ganz anders steht es um die Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit einem Emissionsprospekt.
Der BGH hat seine Rechtsprechung weiter ausgeweitet, wonach die unterbliebende Durchsicht eines Emissionsprospekts keine grob fahrlässige Unkenntnis des Anlegers darstellt, die eine Verjährungsfrist auslöst. Am 8. Juli 2010 (Aktenzeichen: III ZR 249/09) hat der BGH entschieden, dass es auch in verjährungsrechtlicher Hinsicht keine grobe Fahrlässigkeit eines Anlegers darstellt, wenn sich dieser auf die mündlichen Darstellungen des Anlagevermittlers verlässt. Er braucht die mündlich erteilten Auskünfte nicht anhand eines ihm übergebenen Emissionsprospekts zu überprüfen.
Die Entscheidung bedeutet aber nicht, dass der Anleger nicht mehr verpflichtet ist, den Emissionsprospekt zu lesen, wenn er ihn denn vor Zeichnung erhalten hat. Die Entscheidung des BGH stellt klar, dass ein Anleger nicht dazu verpflichtet ist, im Interesse des Beraters möglichst frühzeitig für einen Beginn der Verjährung zu sorgen. Er darf sich in erster Linie auf die ihm zuteil gewordene Beratung verlassen, die letztendlich auch Grundlage seiner Entscheidung war. Dieses Urteil kann für viele betroffene Anleger eine enorme Hilfe darstellen, wenn außergerichtlich oder schon in den gerichtlichen Verfahren von der Gegenseite argumentiert wird, man habe doch Risiken aus dem Emissionsprospekt herauslesen können. Betroffene Anleger sollten mögliche Schadensersatzansprüche auch verjährungsrechtlich durch fachkundige Rechtsanwälte prüfen lassen.
Autor:
Rechtsanwältin Bettina Wittmann
Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht
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