Der gemeinschaftliche Nießbrauch zwingt Eheleute auch nach der Scheidung zur lebenslangen Gemeinschaft
Anton Bernhard Hilbert
Die Immobilienübergabe unter Vorbehalt des Nießbrauchs ist ein bewährtes Steuersparmodell. Aber der gemeinschaftliche Nießbrauch der „Übergeber-Eheleute“ kann seine speziellen Tücken haben und Eheleute über die Scheidung hinaus zwangsverbinden. Das Problem müssen Übergeber-Eheleute bedenken und regeln, um sich vor bösen Überraschungen zu schützen.
Gesamt oder Bruchteil - auf die Berechtigung kommt es an
Die Eheleute sind zur Hälfte Miteigentümer eines Grundstücks, das mit vermieteten Gebäuden bebaut war. Dieses Grundstück übertragen sie im Jahr 1995 auf ihre Kinder, wobei sie sich einen unentgeltlichen lebzeitigen Nießbrauch vorbehalten. Nach der notariellen Vereinbarung steht der Nießbrauch den Übergebern gemeinschaftlich „als Gesamtberechtigte gemäß § 428 BGB“ zu, im Falle des Todes eines Ehegatten dem Überlebenden unverändert alleine, und erlischt mit dem Tod des zuletzt versterbenden Partners.
Die hier vereinbarte Gesamtgläubigerschaft nach § 428 BGB (Gesamtberechtigung) bedeutet, dass jeder Berechtigte die ganze Leistung fordern kann, der Schuldner aber die Leistung nur einmal bewirken muss. Mit anderen Worten: Der Schuldner kann wählen, an welchen der Gläubiger er zahlt. Er kann die volle Schuld an den einen oder an den anderen Gläubiger bezahlen, aber auch die volle Schuld in Bruchteilen an beide Gläubiger. Eine gesetzliche Regelung ob und wie eine solche Gemeinschaft aufgehoben werden kann, gibt es nicht.
Bei einer Mitgläubigerschaft nach § 420 BGB (Bruchteilsberechtigung) hingegen steht den mehreren Berechtigten ein bestimmter Anteil an der Leistung zu, etwa je fünfzig Prozent bei zwei Gemeinschaftern. In diesem Fall muss der Schuldner an jeden Gläubiger den Teil bezahlen, der gerade diesem Gläubiger zusteht, also an jeden Gemeinschafter die Hälfte der gesamten Schuld. Bei der Gemeinschaft von Bruchteilsgläubigern kann jeder Gemeinschafter jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen und erzwingen, § 749 BGB.
Scheidung - und nun?
Nach der Übergabe fällt der Kitt weg, der die Eheleute zusammengehalten hat. Sie lassen sich scheiden. Allerdings sind sie über den gemeinschaftlichen Nießbrauch nach wie vor miteinander verbunden, müssen sich auch nach der Scheidung gemeinschaftlich um die Verwaltung der Immobilie kümmern und gemeinschaftlich die Einnahmen entgegennehmen und verteilen. Das will der Ex-Ehemann nicht mehr mitmachen und den gemeinschaftlichen Nießbrauch beenden. Eine gütliche Vereinbarung ist nicht möglich, weil die geschiedene Ehefrau jedes vernünftige finanzielle Angebot des früheren Ehemannes ablehnt und selbst kein Interesse daran hat, dessen Anteil gegen Zahlung zu erwerben. Der Ehemann klagt deshalb gegen die Ehefrau auf Auflösung der Gemeinschaft. Sie soll erfolgen, indem der Nießbrauch unter den Beteiligten zwangsversteigert wird.
Ehe geschieden- und trotzdem weiter gemeinsam berechtigt und verpflichtet
Die Vorinstanzen (Landgericht Schweinfurt, Oberlandesgericht Bamberg) bestätigen den Aufhebungsanspruch des geschiedenen Ehemannes gegen seine totalverweigernde Ex-Ehefrau. Wenn sogar die durch Miteigentum an einem Hausgrundstück begründete Gemeinschaft durch Zwangsversteigerung aufgehoben werden könne, so müsse dies erst recht für das gemeinschaftliche Nutzungsrecht gelten.
Der Bundesgerichtshof sieht, nach gründlichster Prüfung, die Sache letztinstanzlich doch anders. Sehr zur Überraschung des Ehemannes sind die Regelungen über die Auflösung der Miteigentümerschaft auf den gemeinschaftlichen Nießbrauch in Form der Gesamtberechtigung nicht anzuwenden.
Auch eine analoge (also: sinngemäße) Anwendung der Regeln zur Aufhebung einer Gemeinschaft verwerfen die Richter. Die Aufhebung der Gemeinschaft widerspräche, so der Bundesgerichtshof, dem Sinn und Zweck der getroffenen Vereinbarung, einem lebenslangen Nießbrauch für beide Parteien. Die Eheleute hätten sich mit der Regelung eine lebzeitige wirtschaftliche Absicherung schaffen wollen. Diese sollte gerade nicht durch einen Anspruch auf einseitige Auflösung vorzeitig beendet werden.
Frühzeitig Regelungen schaffen und gemeinsam vorsorgen
Der Ehegatten-Nießbrauch in Gesamtberechtigung (nicht, wie in Besprechungen oft fälschlich bezeichnet, in „Gesamthandsberechtigung“ - die gibt es nur bei Erbengemeinschaft, Personengesellschaften und Gütergemeinschaften) begründet nach dem letztinstanzlichen und verbindlichen Urteil des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 06.03.2020, Aktenzeichen V ZR 329/18) eine lebenslange unauflösliche Gemeinschaft – „bis dass der Tod Euch scheidet“.
Wollen Eheleute nicht lebenslang – über die Scheidung hinaus – zwangsweise durch den gemeinschaftlichen Nießbrauch verbunden bleiben, müssen sie sich dieser möglichen Folge bewusst sein und schon im Übergabevertrag mit einer entsprechenden Regelung Vorsorge treffen.
Die ist möglich etwa in der Form, dass eine Gemeinschaft nach Bruchteilen vereinbart wird statt einer Gesamtberechtigungsgemeinschaft. Im Gegensatz zur Gesamtberechtigung kann bei einer Bruchteilsgemeinschaft jeder Teilhaber jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen, § 749 BGB.
Denkbar sind aber auch Regelungen, wonach die Auflösung ausdrücklich gestattet wird, etwa durch Übernahmerechte gegen Abfindung oder durch die Teilungszwangsversteigerung.
Jeder Fall ist individuell - eine Beratung daher unabdingbar!
Immobilien-Übergabeverträge sind nie Routine, sondern müssen für jeden einzelnen Fall überdacht und individuell konzipiert werden. Zu den Überlegungen gehört unter anderem das Alter der Eltern, ein etwaiger Altersunterschied, die Versorgungssituation der Eltern und der Kinder, der Ertrag, die steuerlichen Folgen, aber eben auch das mögliche Scheitern der Ehe der Übergeber und deren Wiederverheiratung, aber auch Alternativen zum Nießbrauch wie z.B. eine Leibrente.
Deshalb ist die Beratung und Konzeption eine Sache für absolute Spezialisten, die sich nicht damit begnügen, das immer gleiche Formular aus der Schublade zu ziehen und die Ratsuchenden damit sozusagen in ein Prokrustesbett (ist die Person zu lang, wird sie gestreckt, ist sie zu kurz, werden die Beine abgehackt) zu stecken. Der Übergabevertrag mit all seinen Regelungen und Komponenten ist ein Maßanzug, wenn er vom perfekten Spezialisten entworfen wird. Dann hält er auch lebenslang, was er verspricht – und ist seinen „Preis wert“. Daran hätte der unglückliche Ehemann in diesem Fall vorher denken müssen.
Autor:
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Familienrecht, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Über den Autor
Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Familienrecht, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Kanzlei Hilbert und Simon
Kaiserstr. 5
79761
Waldshut-Tiengen
Zum Profil
Weitere Artikel des Autors (19)
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Mehrere Erben (Miterben) bilden eine Erbengemeinschaft.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Zur Nachfolgegestaltung gehört, als unerlässliches Mittel, die rechtsgeschäftliche Vollmacht.
Weiterlesen
-
Immobilienrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Spezialisierte Fachbetriebe bieten als Alternative zum Austausch der Trinkwasserleitung die Innenrohrsanierung.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Ist aktuell kein Notar erreichbar, sieht das Gesetz vor, dass mündlich ein Nottestament errichtet werden kann.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Wirksamkeit eines zeitlich verzögerten Ehegattentestaments
Weiterlesen
-
Mietrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Verletzung der Kautionsanlagepflicht: Mit welchem Satz muss der Vermieter die Mietsicherheit verzinsen?
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Die bisherigen Regelungen zum Erben in Europa gelten noch bis die Europäische Erbrechtsverordnung im Lauf des Jahres 2015 in Kraft tritt.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Welche Vor- und Nachteile bringen die neuen Regelungen zum Erben in Europa mit sich?
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Ohne das Wissen um die gesetzliche Erbfolge gibt es kein vernünftiges Testament.
Weiterlesen
-
Mietrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Anerkenntnis der Betriebskostenabrechnung durch den Mieter bei vorbehaltloser Zahlung?
Weiterlesen
-
WEG-Recht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Der Gesetzgeber krempelt das bewährte Wohnungseigentumsrecht umfassend um. In der Tendenz werden die gesellschaftsrechtlichen Elemente gestärkt, die eigentumsrechtlichen Komponenten geschwächt.
Weiterlesen
-
Patientenrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Covid-19 wirft - ob Risikogruppe oder nicht - Fragen in Bezug auf Patientenverfügungen und angemessene Maßnahmen für den Ernstfall einer Erkrankung auf.
Weiterlesen
-
WEG-Recht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Adieu, werdende Wohnungseigentümergemeinschaft? Vorsicht beim Kauf einer Eigentumswohnung!
Weiterlesen
-
Erbschaftssteuer- und Schenkungsrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Oft stehen Erben vor der Frage, ob die eben geerbte Immobilie verkauft werden muss, um die Erbschaftsteuer zahlen zu können? Diese Sorge steigt in dem Maße, wie die Immobilienpreise steigen. Wir zeigen Ihnen Wege auf, wie Sie das Problem in den Griff bekommen.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Enterbt – und was nun? Um als Pflichtteilsberechtigter sicher sein zu können, dass der Nachlass vom Erben nicht geschmälert angegeben wird, kann dieser ein notariell angelegtes Verzeichnis über das Erbe verlangen.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Das oberste Ziel eines jedes Testaments ist es, mit dem Dokument Frieden unter den Erben zu stiften. Ein schlechtes Testament verursacht oft unnötigen Streit, selbst wenn die Erben und Vermächtnisnehmer reich bedacht werden.
Weiterlesen
-
Steuerrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Der Verkauf einer geerbten Immobilie ist für den Erben steuerfrei, wenn eine Wartefrist von 10 Jahren eingehalten wurde. Ein steuerfreier Verkauf kann unter bestimmten Voraussetzungen auch bereits nach etwas mehr als einem Jahr möglich sein, sofern er die Immobilie in dieser Zeit selbst nutzt.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Kein Mensch will, dass sein Grab mangels Pflege verlottert. Häufig findet sich in Testamenten die Auflage, dass ein Teil des Nachlasses für die Grabpflege zu verwenden ist. Allerdings können Pflichtteilsansprüche dafür sorgen, dass der für die Grabpflege vorgesehene Betrag angegriffen wird- gerade dann, wenn die Erbschaft „knapp“ ist.
Weiterlesen
-
Erbrecht
Rechtsanwalt Anton Bernhard Hilbert
Bei allem Kampf um Unterhalt, Umgangsrecht, Zugewinnausgleich etc. dürfen die Eheleute nicht vergessen, die Auswirkungen von Trennung und Scheidung auf das Erbrecht zu berücksichtigen. Meist besteht dringender Änderungsbedarf. Wird ihm nicht Rechnung getragen, treten Folgen ein, die gewiss nicht gewollt sind. Dies gilt für das gesetzliche Erbrecht ebenso wie bei Testament und Erbvertrag.
Weiterlesen
Das könnte Sie auch interessieren:
-
-
-
Unter Rentenanwartschaft versteht man die bereits erzielten Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung, die bei Eintritt in die Rente zu einem Rentenanspruch werden. Nach einer Scheidung sieht das Gesetz es vor, dass die Ex-Partner ihre Rentenanwartschaften aufteilen. Hierbei sprechen wir von einem Versorgungsausgleich. Für die meisten Menschen ist der Ausgleich ein wichtiger Baustein ihrer Altersvorsorge und sollte stets bei einer Scheidung mit einbezogen werden. Doch welche gesetzlichen Regelungen gibt es überhaupt? Wie geht man bei einer Scheidung am besten vor, um die Rente zu sichern? Gibt es Sonderregelungen?
Weiterlesen
-
Die Scheidung einer Ehe kann grundsätzlich nach Ablauf des Trennungsjahres beantragt werden. Nur unter strengen Voraussetzungen kann hiervon abgewichen und der Antrag auch sofort eingereicht werden.
Weiterlesen
-
Sind Sie zusammen mit Ihrem Ehepartner Eigentümer einer selbstbewohnten Immobilie sollten Sie vorsichtig sein, bei der Trennung vorschnell auszuziehen.
Weiterlesen
-
Scheitert eine Ehe, kommt es in der Regel früher oder später zur Scheidung der Eheleute. Doch selbst für eine einvernehmliche Scheidung gelten gewisse Vorgaben durch den Gesetzgeber.
Weiterlesen
-
Die gemeinsam aufgebaute Firma gehört nur einem Ehegatten? Dank der Ehegatteninnengesellschaft geht es bei der Scheidung gerecht zu, trotz Gütertrennung!
Weiterlesen
-
Wer denkt schon bei der Eheschließung an eine möglicheTrennung vom Partner? Was passiert dann mit dem gemeinsamen Bankkonten und der Immobilie, die ihnen gemeinsam gehört?
Weiterlesen
-
Die Zugewinngemeinschaft ist der vom Gesetzgeber vorgesehene Güterstand der Ehe. Bei ihrem Ende erfolgt der Zugewinnausgleich.
Weiterlesen
-
Deutsch-spanische Scheidung: Wo ist die Scheidung einzureichen und welches Recht ist anzuwenden?
Weiterlesen
-
Die Reform des Versorgungsausgleichs regelt die Verteilung von Rentenanrechten zwischen Ehegatten nach einer Scheidung neu.
Weiterlesen
-
Der Pkw in der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung bei Scheidung - Hausrat ja oder nein?
Weiterlesen
-
Die illoyale Vermögensminderung wird im Volksmund auch als Kontoplünderung bezeichnet.
Weiterlesen
-
Ehepaare, die sich zur Trennung mit dem Ziel der späteren Ehescheidung entschließen, gehen oft davon aus, dass sie auf anwaltliche Beratung verzichten können.
Weiterlesen
-
Im Rahmen der so genannten Scheidungsfolgesachen (Unterhalt, Zugewinnausgleich, Hausrat, eheliche Wohnung et cetera) ergeben sich eine Vielzahl von Problemen.
Weiterlesen
-
Zugewinnausgleich und Vermögensauseinandersetzung bei Selbständigen und Nichtselbständigen und Eheverträge.
Weiterlesen
-
Direkter Rückgewähranspruch bei Zuwendungen der Schwiegereltern an ein Schwiegerkind.
Weiterlesen
-
Wenn sich Eheleute trennen, ist dies meist ohnehin schon mit starken, persönlichen Belastungen verbunden.
Weiterlesen
-
Eheleuten, die die Kosten eines Scheidungsverfahrens nicht aufbringen können, wird auf Antrag Prozesskostenhilfe bewilligt.
Weiterlesen